Veranstaltung: | Landesparteirat |
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Tagesordnungspunkt: | 4. Anträge Verschiedene |
Antragsteller*in: | Landesvorstand und Landtagsfraktion (dort beschlossen am: 02.03.2017) |
Status: | Eingereicht |
Beschlossen am: | 02.03.2017 |
Eingereicht: | 04.03.2017, 10:02 |
V5: Die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit wahren
Antragstext
Die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit wahren
Militante Islamisten und Rechtsextremisten haben mit Terroranschlägen und Morden
– in Deutschland, Europa und weltweit – viele Menschen in Angst versetzt, auch
große Teile der brandenburgischen Bevölkerung. Uns erfüllen die gefährlichen
Entwicklungen, die zu diesen Verbrechen geführt haben, mit großer Sorge!
Islamistische Terroristen stellen sicherheitspolitisch eine besondere
Herausforderung dar, weil sie beliebige Menschenmengen als Ziele auswählen und
nicht einmal ihr eigenes Leben achten. Weitere Attentate sind nicht
auszuschließen. Die abstrakte Gefahr, die von islamistischem Extremismus
ausgeht, bleibt unverändert hoch.
Aber auch der Rechtsterrorismus gefährdet massiv unsere Demokratie und das
friedliche Zusammenleben im Land. Die Zahl der Gewalttaten in Brandenburg gegen
Flüchtlinge und ihre Unterkünfte hat sich laut Landesregierung mehr als
verdoppelt – von 141 im Jahr 2015 auf 312 im Jahr 2016.
Wir Bündnisgrünen wollen, dass alle Menschen in Brandenburg sicher leben können,
und deshalb Gefahren mit präventiven und repressiven Maßnahmen nachhaltig
verringern. In der momentanen Debatte zur Inneren Sicherheit erleben wir
allerdings einen Überbietungswettbewerb mit Maßnahmen, deren Tauglichkeit in
vielen Fällen unklar oder gar zweifelhaft ist. Wir setzen uns für Maßnahmen ein,
die sicherheitspolitische Probleme wirklich lösen und nicht nur werbewirksame
Placebos sind. Uns ist dabei allerdings bewusst, dass Angst auch von subjektiven
Faktoren beeinflusst oder gar verursacht sein kann.
Grundsätze unseres sicherheitspolitischen Handelns
Bündnis 90/Die Grünen verstehen sich auch in Brandenburg als die Partei der
Grund- und Bürgerrechte. Vorschläge zur Verbesserung der Inneren Sicherheit
prüfen wir nach drei Kriterien sorgfältig: Rechtsstaatlichkeit –
Verhältnismäßigkeit –Wirksamkeit. In der Sicherheitspolitik gelten für uns
folgende Grundsätze:
1. Gesetzliche Regelungen, die auf aktuelle Herausforderungen reagieren, sind
zeitlich zu befristen, um ihre tatsächliche Wirksamkeit sowie ihre anhaltende
Notwendigkeit überprüfen zu können.
2. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein freiheitlich-demokratischer
Rechtsstaat und kein Überwachungsstaat. Dementsprechend wichtig ist für uns alle
der Grundsatz der Unschuldsvermutung. Wir lehnen es ab, dass die gesamte
Bevölkerung und damit wir alle unter Generalverdacht gestellt werden. Wir sind
folglich gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung von
Telekommunikationsverkehrsdaten. Für weitgehende
Telekommunikationsbestandsdatenauskünfte gegenüber der Polizei (z.B. Auskunft
über den Inhaber einer Internetprotokoll-Adresse) halten wir einen
Richter*innenvorbehalt für geboten. Entsprechend weitgehende
Bestandsdatenauskünfte gegenüber Verfassungsschutzbehörden lehnen wir ab.
3. Freiheit und Sicherheit gehören zu den wichtigsten Werten unserer
Gesellschaft. Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit und ohne Freiheit gibt es
keine Sicherheit. Freiheit und Sicherheit dürfen deshalb nicht gegeneinander
ausgespielt werden, sondern sie müssen in ein sinnvolles Verhältnis zueinander
gebracht werden.
4. Ein zu schwacher Staat birgt Gefahren – ein zu starker allerdings auch, wie
wir aus unserer Geschichte wissen. Das Handeln der Sicherheitsbehörden muss
daher sinnvoll begrenzt und umfassend kontrolliert werden – von Richter*innen
und Gerichten, von Parlamenten und/oder ihren Kontrollgremien.
5. Die Terrorismus-Bekämpfung muss möglichst wirkungsvoll und effizient und
deshalb zielgerichtet erfolgen. Eine zielgenaue, das heißt in der Regel auf
Zielpersonen ausgerichtete Terrorismus-Bekämpfung kann dazu beitragen, dass die
Grundrechte Unbeteiligter nicht oder kaum verletzt werden.
6. Über den Preis, den wir gegebenenfalls für mehr Sicherheit bezahlen sollten,
müssen wir reden. Schwerwiegenden Grundrechtseingriffen stimmen wir jedoch
allenfalls dann zu, wenn sie nachweisbar einen großen sicherheitspolitischen
Mehrwert für unsere Gesellschaft bringen. Wir sind sehr kritisch bei
Vorschlägen, deren Wirkung im Sinne der Terrorismus-Bekämpfung nicht oder nur
unzureichend untersucht sind. Von Maßnahmen wie der flächendeckenden
Videoüberwachung und der Schleierfahndung wissen wir bisher nur eines sicher –
dass sie Grundrechte verletzen.
Maßnahmen zur Terrorismus-Bekämpfung
Die beste Vorbeugung gegen Terrorismus ist die Befriedung internationaler
Konfliktherde. Nicht zuletzt deshalb streiten wir für eine ökologisch, sozial
und wirtschaftlich gerechte Welt und für zivile Lösungen in Konfliktfällen. Im
klassischen Sicherheitsbereich setzen wir uns ein für
1. Bessere personelle und finanzielle Ausstattung von Polizei und Justiz
2. Es müssen vorbeugende (präventive) Angebote für Jugendliche gemacht werden,
die von einer Radikalisierung bedroht sind.
3. Es muss schnell und präzise analysiert werden, welche Defizite es im Vorfeld
des Berliner Terroranschlags vom 19. Dezember 2016 gab:
a. Falls es zu Ermittlungsfehlern kam, sollten Prozesse optimiert werden.
b. Falls es der Polizei an Personal oder Mitteln fehlte, sollten die
entsprechenden Ressourcen erhöht werden.
c. Falls Gesetzeslücken dazu geführt haben, dass so viele Menschen getötet und
verletzt wurden, dann müssen wir sie unter Abwägung von Rechtsstaatlichkeit und
Verhältnismäßigkeit gezielt schließen.
4. Die polizeiliche Terrorismus-Bekämpfung sollte von der Bundesebene aus in
Abstimmung mit der EU-Ebene geleitet oder zumindest koordiniert werden, weil
Terroristen über Grenzen hinweg operieren. Soweit die polizeiliche Arbeit
Brandenburg betrifft, müssen die parlamentarischen Informations- und
Kontrollrechte für den Landtag sichergestellt sein.
5. Die Terrorismus-Bekämpfung sollte bundesweit einheitlich geregelt sein,
ebenso die Gefahrenabwehr. Eine entsprechende Harmonisierung der Polizeigesetze
ist anzustreben.
6. Die Polizei muss bundesweit über die gleichen Informationstechnik-Systeme
verfügen, damit ein technisch reibungsloser Datenaustausch sichergestellt ist.
Der europaweite Datenaustausch zu terroristischen Bedrohungen sollte dringend
verbessert werden. Die Herausforderung besteht dabei darin, die notwendigen
Datenbanken besser zu nutzen und auf nicht notwendige zu verzichten, damit nicht
alles in der Masse untergeht.
7. Es müssen hohe Aus- und Fortbildungsstandards für die Kriminalpolizei,
insbesondere für Spezialisten im Staatsschutz-Bereich, geschaffen werden, die
bundesweit gelten.
8. Ob und inwiefern Verfassungsschutzbehörden wirkungsvoll und ausreichend
kontrollierbar zur Terrorismus-Bekämpfung beitragen können, ist unter
Sicherheitsexperten umstritten und muss deshalb grundlegend untersucht werden.
Aktionismus entgegentreten und Freiheit verteidigen
Maßnahmen bei denen Rechtsstaatlichkeit, Verhältnismäßigkeit und Wirksamkeit
nicht sichergestellt sind werden wir nicht mittragen. Insbesondere Maßnahmen
deren Wirksamkeit sehr niedrig oder unklar ist, die sich aber populistisch gut
ausschlachten lassen werden aktuell massenhaft in den Raum gestellt und
versperren den Blick auf die tatsächlichen strukturrellen Probleme die es zu
beheben gilt.
1. Videoüberwachung kann islamistische Selbstmordattentäter nicht abschrecken.
Sie ist aber an neuralgischen Orten mit erhöhtem Gefahrenpotential sinnvoll,
kann Menschen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln und helfen, Straftaten besser
aufzuklären. Eine Totalüberwachung des öffentlichen Raums ist mit unseren Grund-
und Freiheitsrechten nicht vereinbar.
2. Die Elektronische Fußfessel stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die
Grundrechte des Betroffenen dar. Dieses Überwachungsinstrument wird daher nach
bisheriger Rechtslage nur gegen schwere Straftäter eingesetzt, die von einem
Gericht verurteilt und unter Führungsaufsicht gestellt worden sind. Einen
vorbeugenden Einsatz der Elektronischen Fußfessel gegen so genannte „Gefährder“
lehnen wir ab. Denn die „Gefährder“-Einstufung basiert nur auf einer
sicherheitsbehördlichen Einschätzung, eine tatsächliche Gefährlichkeit dieser
Personen ist nicht nachgewiesen. Abgesehen davon kann eine Elektronische
Fußfessel niemanden an einem Terroranschlag hindern.
3. Eine flächendeckende Schleierfahndung – also die verdachtsunabhängige
Kontrolle, die bisher zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität im
Grenzbereich erlaubt ist – lehnen wir ab. Wir befürchten, dass eine
Terroristensuche per Schleierfahndung dazu führen würde, dass vor allem
arabischstämmig aussehende Personen willkürlich kontrolliert werden.
Terrorbereite Islamisten deutscher Herkunft könnten auf diese Weise nicht
entdeckt werden. Die Schleierfahndung unter Terrorismus-Aspekten erinnert an die
Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen und ist folglich kein geeignetes
Instrument.
4. Die Sammlung und Auswertung von Massendaten beispielsweise aus dem Bereich
der Telekommunikation halten wir für einen unverhältnismäßigen Eingriff in die
Grundrechte aller Bürger sowie weitgehend ungeeignet, um terrorbereite Personen
zu ermitteln, da es sich hier ebenfalls um eine Stecknadelsuche im Heuhaufen
handelt. Zu berücksichtigen ist, dass sowohl der Berliner Attentäter Anis Amri
als auch die mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate
Zschäpe bereits vor den ihnen zugeordneten Attentaten den Sicherheitsbehörden
aufgefallen waren. Es waren also keine solchen Massendaten erforderlich, um
diese Gefährder als solche zu erkennen.
100-prozentig sicher ist leider nur, dass es keine 100-prozentige Sicherheit
geben kann. Wir nehmen die terroristische Bedrohung sehr ernst und wollen
sicherheitspolitisch zielgerichtet und entschlossen gegen sie vorgehen – ohne
dabei selbst zu zerstören, was wir vor Terroristen sichern wollen: unser Leben
in Freiheit in einem demokratischen Rechtsstaat.
Änderungsanträge
- Ä1 (Thomas Dyhr, Eingereicht)
- Ä2 (Thomas Dyhr, Eingereicht)
- Ä3 (Thomas Dyhr, Eingereicht)
- Ä4 (Thomas Dyhr, Eingereicht)
- Ä5 (Thomas Dyhr, Eingereicht)
- Ä6 (Thomas Dyhr, Eingereicht)
- Ä7 (Thomas Dyhr, Eingereicht)
- Ä8 (Thomas Dyhr, Eingereicht)
- Ä9 (Thomas Dyhr, Eingereicht)
- Ä10 (Thomas Dyhr, Eingereicht)
- Ä11 (Thomas Dyhr, Eingereicht)
- Ä12 (Thomas Dyhr, Eingereicht)
- Ä13 (KV Potsdam-Mittelmark (dort beschlossen am: 15.03.2017), Eingereicht)
- Ä14 (Yvonne Plaul (Potsdam-Mittelmark KV), Eingereicht)
- Ä15 (Yvonne Plaul (Potsdam-Mittelmark KV), Eingereicht)
- Ä16 (Yvonne Plaul (Potsdam-Mittelmark KV), Eingereicht)
- Ä17 (Yvonne Plaul (Potsdam-Mittelmark KV), Eingereicht)
- Ä18 (Yvonne Plaul (Potsdam-Mittelmark KV), Eingereicht)
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